Brutus „Let us be sacrificers, but not butchers.“

PROLOG

„They sit in rooms lit by the future.“

In einer Welt verblassender Träume werden Illusionen nicht nur gehegt, sondern präzise geschichtet – Schicht um Schicht, um Macht zu wahren und Wahrheit zu unterdrücken. Wie in einer Fabel, in der die Figuren ihren eigenen Trug erschaffen, taumelt die Gesellschaft am Abgrund, geblendet von den Lügen, die sie selbst mit Leben füllt.

Die Bilder in Les Protégés sind Fragmente dieser Fabel – Tableaus zwischen Rolle und Widerstand, zwischen Zitat und Zustand. Inspiriert von Shakespeare, aber nicht gebunden an Text, sondern getragen von Blicken, Licht und Gesten, die sich selbst genügen.


I.

DIE FIGUREN

 

‚They do not know their roles – yet the world does.‘

Jede Figur trägt einen Namen, doch der Name ist nicht Schutz, sondern Erwartung. Die Frauenfiguren sind Archetypen – Lady Macbeth, Desdemona, Ophelia, Viola, Beatrice – und dennoch Gegenbilder zu sich selbst. Sie sprechen – aber oft ohne Stimme.

Ophelia ‚I would give you some violets, but they withered all.# Sie ist reine Projektion. Ihr Blick durch das Glas: fragil, aufgelöst. Kein Wasser, kein Ertrinken – nur das Zittern eines Gedankens, der nicht gedacht werden darf.

Lady Macbeth ‚Look like the innocent flower, but be the serpent under’t.‘ Sie liegt nicht – sie lauert. Das Licht wärmt nicht. Sie kennt die Gewalt, die sie rief. Und weiß: Sie wird sie nicht mehr los.

Cleopatra ‚Give me my robe, put on my crown.‘ Eine Frau, die sich selbst inszeniert, aber nicht aus Eitelkeit, sondern aus Notwendigkeit. Der Papagei ist nicht Dekor, sondern Zeuge. Die Krone ist nicht Symbol – sie ist Entscheidung.

Diese Frauen tragen Geschichte in sich, aber sie schreiben keine – sie widerstehen ihr.

II.

OHNE TITEL

 

‚Not all drama bleeds. Some stays quiet. And waits.‘

Im Mittelteil löst sich das Rollenspiel auf. Die Namen verschwinden, die Zitate verstummen. Zurück bleibt Alltag – Küchen, Tiere, Lichtflecken auf Haut. Das Drama ist nicht verschwunden, sondern in das Banale eingesickert.

„Vielleicht ist Erinnerung nichts anderes als Licht auf Haut.“

„Ich konnte es nicht aushalten – also liebte ich die Katze.“

„Ich bin gegangen, als ich blieb. Wäre ich gegangen, wäre ich geblieben.“

Diese Szenen sind keine Pausen. Sie sind stille Träger einer Spannung, die nicht explodiert, sondern durchhält. Sie zeigen, dass es auch ohne Kostüm eine Rolle gibt. Und dass sich viele Frauen nicht in Dramen wiederfinden, sondern in Routinen, aus denen sie nie herausgeschrieben wurden.


III.

INSZENIERUNG UND ERSCHÖPFUNG

 

‚They are no longer actors, but they are not dismissed.‘

Nun tritt das Theater offen auf: Der Vorhang wird nicht mehr gescheut. Die Szenen sind aufgeladen, gespiegelt, theatral. Figuren begegnen sich, ohne sich zu retten. Rollen entblößen sich – oder fallen ab.

Brutus  ‚Let us be sacrificers, but not butchers.‘
Nicht aus Hass, sondern aus Vernunft wurde getötet. Nun sitzt er da. Der Blick ist fest, das Urteil leer.

Prospero ‚We are such stuff as dreams are made on.‘
Der Magier, der sich entkleidet hat. Keine Macht mehr, nur noch Erinnerung.

King Lear ‚I am a man more sinn’d against than sinning.‘
Der Körper ist nicht gefallen – er ist zurückgeblieben. Die Schuld ist nicht sichtbar, aber sie sitzt tief. Lear, ohne Krone, aber mit Restwürde.

Othello ‚But I do love thee! and when I love thee not, chaos is come again.‘
Kein Aufschrei, kein Mord. Nur das Wissen, dass es hätte anders kommen können.

Diese Männerfiguren sind nicht Helden. Sie sind Reste eines Systems, das selbstvergessen weiterspielt, während sie bereits abtreten.

EPILOG

 

 ‚They carry no name, only the weight of the part they were never asked to play.‘

Ophelia bleibt. Nicht als Figur, sondern als Linie, die sich durchzieht. Ihr Blick ist nicht Opfer, sondern Spiegel.

Les Protégés ist kein Drama, das gespielt wird. Es ist ein Drama, das in der Haut weiterlebt. In Blicken, Haltungen, im Licht. Es fragt nicht: Wer bist du? Sondern: Was trägst du mit, das du nie wolltest?


Ein Essay über das Gewicht von Rollen, über die Stille als Widerstand und über das Theater, das wir Alltag nennen.

´Joerg Alexander / Berlin / Mittwoch, 14.05.25

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