Bühne, Schnitt, Blendung
Category : Perspective
Ein Versuch, das eigene Sehen zu verstehen.
Notes:
Die vertraute Ordnung
Diese Bilder von Final Holidays kenne ich, ohne sie je gesehen zu haben. Fremde Aufnahmen, die sich wie eigene Erinnerungen anfühlen – als hätte ich selbst dort gestanden, als wäre mein Blick durch diese Linse gewandert. Die Sprache der Fotografie spricht sofort zu mir: Licht greift nach Haut, Gesten entstehen aus Materialität, alles wirkt gesehen statt konstruiert. Gerade deshalb irritieren mich diese Bilder. Sie zeigen nicht nur – sie berühren meine eigenen Weltbilder, verschieben sie unmerklich.
Der Blick liebt seine Ordnung. Er jagt nach dem Bekannten und wird fündig, noch bevor die Erfahrung sich bilden kann. Am Strand erkenne ich Körper, lese Posen wie Schrift, verstehe Gesten als wären sie meine eigenen. Mein Sehen arbeitet schneller als mein Denken. Es folgt Codes, die nicht ich erfunden habe – Codes aus Kultur, aus Erwartung, aus kollektiver Gewohnheit. Ich sehe, was ich gelernt habe zu sehen.
Der Bruch im Bild
Dann geschieht es. Nicht dramatisch, eher wie ein kaum merkliches Stolpern über eine unsichtbare Schwelle. Etwas im Bild verweigert sich meiner Erwartung. Die gewohnte Lesbarkeit reißt auf. Hier beginnt das eigentliche Sehen.
Der eben noch sichere Blick verliert seine Richtung. Er stößt auf etwas, das sich seiner Sprache entzieht, das ihn trifft, bevor er es benennen kann. Kein mystisches Geheimnis, kein tiefensymbolisches Rätsel – nur eine minimale Verschiebung, die dennoch alles verändert.
Barthes kennt diesen Unterschied: studium – das kulturelle Wissen, das beruhigt, weil wir die Zeichen beherrschen – und punctum – der Stich, der herausreißt, weil er sich nicht fassen lässt. High Balls bewegt sich im Raum des studium: choreographiertes Sehen, das funktioniert, weil die Codes vertraut sind. Final Holidays dagegen öffnet Risse. Und lässt sie offen.
Eine Welt, die nie war
Die Intensität dieser Erfahrung verdoppelt sich durch ein Wissen: Diese Welt hat nie existiert. Generativ entstanden, ohne dass je dieses Licht auf diese Körper fiel, ohne dass ein Auslöser diesen Moment festhielt. Dennoch tragen die Motive die Grammatik der Fotografie so präzise, dass mein Blick ihnen glaubt.
Die Bilder zitieren Erinnerungen, die wir alle teilen. Deshalb wirken sie glaubwürdig. Doch das Wissen um ihre Entstehung legt sich wie ein zweites punctum unter die Wahrnehmung: Ich sehe fotografische Welt und weiß zugleich um ihre Abwesenheit. Diese Spannung verstärkt den Bruch – Erinnerung und Erfindung fallen zusammen.
Der Schnitt als Denkbewegung
Hier setzt der eigentliche Schnitt ein. Nicht technisch, sondern als Bewegung des Denkens. Der Moment, wo Bild und Bedeutung auseinanderfallen. Godard hat gezeigt, was geschieht, wenn Montage nicht verbindet, sondern trennt – wenn Bild, Text und Ton aufhören, dieselbe Geschichte zu erzählen. Wenn der Rhythmus in der Unterbrechung liegt, nicht in der Bestätigung.
Final Holidays arbeitet in diesem Zwischenraum. Die Serie verweigert jede Erzählung, jede Stabilität, jede Illusion feststellbarer Realität. Ihre Montage entsteht aus Brüchen. Der Text kommentiert nicht, das Bild erklärt nichts. Beide Ebenen driften auseinander – und gerade in diesem Auseinanderfallen entsteht eine dritte Spur, die nicht sagt, sondern spürbar macht.
Sichtbarkeit und Entzug
Wir leben in der Zeit des Alles-Sichtbaren. Speichern, teilen, vervielfältigen – nichts bleibt verborgen. Doch der Blick erschöpft sich in dieser Überfülle. Tristan Garcia spricht von gesättigter Gegenwart: alles zugänglich, aber kaum noch etwas berührt.
Final Holidays antwortet mit Entzug. Die Bilder geben sich nicht hin, verweigern schnelle Lesarten. Keine Dokumente, keine Beweise, keine Illustration. Sie fordern Aufmerksamkeit, die nicht konsumiert, sondern innehält. Sie erzählen keine Geschichte – sie halten den Riss offen, in dem Bedeutung unstabil wird.
Bühne, Schnitt, Blendung
Diese Serie ist für mich keine abgeschlossenes Arbeit. Sie ist Einladung zum Sehen. Die Bühne als Code, der unseren Blick strukturiert. Der Schnitt als Unterbrechung, wo Erwartung zerbricht. Die Blendung als Aufblitzen des Unerwarteten – ungreifbar und doch alles verändernd.
High Balls kennt den Rhythmus und spielt ihn virtuos. Final Holidays bricht ihn und zwingt zum neuen Sehen. Zwischen Bühne, Schnitt und Blendung entsteht ein anderes Sehen – eines, das nicht wiederholt, was es kennt, sondern Erfahrung eröffnet. Eine Erfahrung, die mich selbst einschließt.
Joerg Alexander / Berlin / 01.09.2025
















